Braucht es einen Mietstreik?

Nach allem, was den Nachrichten der letzten Wochen zu entnehmen war, müssen wir davon ausgehen, dass uns eine Wirtschaftskrise von bisher nicht gekanntem Ausmaß bevorsteht. Ihr Beginn macht sich auch hierzulande bereits bemerkbar: viele haben ihren Job verloren oder wurden in Kurzarbeit geschickt. Ein großer Teil des Einzelhandels verfügt momentan über keinerlei Einnahmen und wird die kommende Zeit nicht überstehen, wodurch die Arbeitslosenzahlen weiter nach oben gehen werden. Auf die Frage, wie sie die eigene Miete bezahlen sollen, werden viele keine Antwort mehr finden.

Und auch der Staat wird sie nicht liefern. Ein kürzlich erlassenes Gesetz „zum Schutz der Mieter“, das erlaubt die Mietzahlung temporär auszusetzen und bis 2022 nachzuholen, entpuppt sich bei genauer Betrachtung als Makulatur. Sie zögert den Verlust unserer Wohnungen lediglich hinaus. Denn brechen wir die momentane Situation herunter, befinden wir uns in folgender misslichen Lage: Unser Einkommen fällt gerade zu einem großen Teil weg. In der kommenden Zeit werden unsere Löhne weiter sinken, sofern wir unseren Job nicht ganz verlieren und auf ebenfalls sinkende staatliche Unterstützung angewiesen sein werden. Gleichzeitig sind wir aber gezwungen, zusätzliches Geld zu beschaffen, um die Miete der Corona-Monate bis 2022 nachzuzahlen. Das ist für viele, deren Geld schon jetzt kaum zum Leben reicht, schlichtweg nicht möglich.

Anstatt das Immobilienkapital, das sich in den letzten 30 Jahren nicht nur in Berlin dumm und dämlich verdient hat, durch eine Mietminderung an den Kosten der Krise zu beteiligen, werden wir gezwungen, uns dauerhaft zu verschulden und für die Mietrückstände aufzukommen. Wer das nicht kann oder möchte, wird die Wohnung verlieren. Das Gesetz “zum Schutz der Mieter” ist also viel eher eines “zum Schutz der Vermieter”, die auch in der Krise nicht auf ihre Gewinne verzichten müssen. Die unerträgliche Entwicklung Berlins in ein Anlageparadies für Gutverdienende und Briefkastenfirmen, in dem täglich Menschen aus ihren Wohnungen zwangsgeräumt werden, wird sich im Zuge der jetzigen Krise rasant beschleunigen.

Diese Situation stellt uns vor die Wahl, ob wir uns individuell diesem Schicksal fügen oder die Machtverhältnisse in dieser Stadt durch eine kollektive Organisierung der Mieterinnen in eine andere Richtung lenken wollen. Damit haben Menschen in Spanien und den USA begonnen, indem sie Anfang April in einen Mietstreik traten und ihre Miete am 1. des Monats nicht mehr gezahlt haben. Viele davon haben keine andere Wahl. Andere wiederum befinden sich in einem solidarischen Mietstreik, um eine politische Bewegung aufzubauen und zahlungsunfähige Mieterinnen vor den Konsequenzen zu schützen. Denn unsere Vermieterinnen können keinen ganzen Häuserblock, geschweige denn ein ganzes Stadtviertel zwangsräumen lassen, wenn wir unsere Miete kollektiv verweigern. Durch einen Mietstreik ließe sich die eigene Ohnmacht, die wir täglich durch unsere Verdrängung und die Verwandlung unserer Kieze in lebensfeindliche Orte für Geringverdienende erfahren, binnen kürzester Zeit überwinden.

Es erscheint uns, mit Verlaub, als schlechter Scherz, dass wir in der momentanen Krise die Gewinne des Immobilienkapitals bezahlen sollen und zeitgleich Großkonzerne wie Deichmann, C&A und H&M, letzteres mit einem Jahrumsatz von 25,2 Milliarden US-Dollar, ihre Miete verweigern. Während Medien und Politik uns einreden möchten, dass wir in der jetzigen Zeit alle in einem Boot säßen, beginnt sich das Kapital bereits zu organisieren. Die Kosten der Krise sollen bestmöglich auf den ärmeren Teil der Bevölkerung abgewälzt werden. Um dem etwas entgegenzusetzen und zu verhindern, dass wir in den kommenden Jahren nach und nach aus unseren Wohnungen geworfen werden, bleibt uns keine andere Wahl, als uns ebenfalls kollektiv zu organisieren. Sprecht mit euren Nachbarinnen über ihre ökonomische Situation und überlegt, wie ihr euch gegenseitig unterstützen und Widerstand organisieren könnt. Wir müssen damit aufhören, so lange bis wir es nicht mehr können, unsere Zahlungen für ein unmenschliches System zu leisten, in dem gerade tausende, zum Teil vorerkrankte Menschen auf der Straße schlafen, obwohl alle Hotelzimmer leer stehen, und das uns alle – eher früher als später – in die Katastrophe führt. Ein Mietstreik wäre ein erster Schritt diesem Spuk ein Ende zu setzen.

Wo erhalte Unterstützung, wenn ich die Miete nicht mehr zahlen kann?

Berliner Mieterverein
Telefonische Kurzberatung montags bis freitags von 13 bis 16 Uhr sowie montags und donnerstags von 17 bis 20 Uhr unter Telefon 030-226 26-152

Wo bekomme ich neue Infos über die Organisation des Mietstreiks?
www.wirzahlennicht.info (Seite im Aufbau)