Wurfpost Nõ2

Wenn Frauen* nicht zuhause bleiben können

Noch am 8. März, dem internationalen Frauen*kampftag, gingen weltweit Millionen Menschen gegen patriarchale Strukturen und Unterdrückung auf die Straße. Wenige Wochen später ist diese Form des Ausdrucks sowie weitere Aktionen, Vernetzung mit- und untereinander und Aufrechterhaltung solidarischer Strukturen aufgrund der Corona-Situation nur noch eingeschränkt möglich. Es ist durchaus wichtig, die als Reaktion auf das Virus Covid-19 entstandenen Maßnahmen ernst zu nehmen. Wir müssen einander schützen und dies fordert Verhaltensmuster, gegen die wir uns sonst sträuben, aber welche wir zur Zeit annehmen sollten.
Doch gerade jetzt kommen gesellschaftliche Ungleichheitsmechanismen besonders deutlich und heftig zum Vorschein. Die Fragen danach, welche Lebensumstände bei der Forderung nach ständigem zu Hause bleiben mitgedacht werden und was dies in der Konsequenz bedeuten kann, sind hierbei zentral.
Im Folgenden soll aus einer feministischen Perspektive auf die Auswirkungen der „Corona-Krise“ für FLINT*-Personen geblickt werden. Der Text hat dabei nicht den Anspruch vollständig zu sein, sondern soll eine Diskussion eröffnen, die einen erweiterten Blickwinkel auf die derzeitigen Maßnahmen ermöglicht.
Zuhause ist nicht für alle sicher
Die Isolation verschärft oft ohnehin schon gewaltvolle Strukturen in Partner*innenschaften, Familien und weiteren Wohnformen und führt zu einem akuten Anstieg von sogenannter häuslicher Gewalt. Diese richtet sich vornehmlich gegen Frauen* und Kinder. Viele Frauen*häuser, die sowieso schon mit Kapazitätenmangel kämpfen, sind höchst besorgt über die Zunahme von häuslicher Gewalt in den kommenden Wochen. Die Möglichkeit die Wohnung zu verlassen und sich Freiraum zu schaffen ist für viele Betroffene (über-)lebenswichtig. Oft wird Gewalt erst in der Schule, Kita oder auf der Arbeit sichtbar, wenn Betroffene nach außen Signale senden können, dass etwas nicht stimmt. Bleibt die Gewalt nun noch unsichtbarer als ohnehin schon – während die Zahlen zusätzlich steigen?
Nicht alle haben ein Zuhause
Auch für wohnungslose Menschen stellen die aktuellen Ausgangsbeschränkungen, die mit Bußgeldern und Repression einhergehen können, eine noch größere Schwierigkeit dar. Denn diese funktionieren nur für Menschen, die sich überhaupt entscheiden können, zu Hause zu bleiben oder nicht. Besonders wohnungslose Frauen* sind hierbei mit weitreichenden Folgen konfrontiert. Durch fehlende Rückzugsorte, wie beispielsweise Bibliotheken, Cafés und Tagesaufenthalte, ist der Schutz vor sexualisierter Gewalt im öffentlichen Raum noch weniger gewährleistet als sonst. Hinzu kommt der erhöhte Mangel an öffentlich zugänglichen Sanitäranlagen, um der Körperhygiene sowie gesundheitlichen Bedürfnissen nachzugehen. Wo sollen Frauen* nun den Tampon/Binde/Cup wechseln? Wo können sie sicher auf Toilette gehen, ohne dabei dem Risiko ausgesetzt zu sein, sexualisierte Gewalt zu erfahren? Auch der tatsächliche Schutz vor dem Virus und einer Eindämmung der Ansteckung ist unter diesen Bedingungen nur schwer möglich. Wo sollen sich Frauen* die Hände waschen? Dadurch, dass diese Perspektiven nicht ausreichend mitgedacht werden, sind die betroffenen Personen einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt.
Doppelbelastung durch zu Hause arbeiten
Des Weiteren stellt die Schließung von Schulen und Kitas ein großes Problem dar. In den als systemrelevant anerkannten Berufsfeldern gibt es eine Notbetreuung. Menschen mit Kindern, die im Home Office arbeiten müssen, stehen allerdings vor den gleichen Ansprüchen, wie sonst auch, nur dass die Kinderbetreuung rund um die Uhr hinzukommt. Vor allem für alleinerziehende Frauen* stellt dies eine große Belastung dar und macht es häufig unmöglich, den Anforderungen der Arbeitgebenden gerecht zu werden. Da die Care- und Reproduktionsarbeit nach wie vor Arbeit ist, die hauptsächlich von Frauen* erbracht und nicht entlohnt wird, kommt es zu einer verstärkten Doppelbelastung von Frauen*.
Frauen* übernehmen den Großteil der Care-Arbeit
Diese Nicht-Anerkennung zieht sich bis in den Bereich der Lohnarbeit durch. So werden Berufe im Care-Bereich wie Pflege, Betreuung, Soziale Arbeit niedriger entlohnt, gleichzeitig zur Zeit 12-Stunden-Schichten (und mehr) von den Lohnarbeitenden erwartet. In diesen Berufen, die als systemrelevant anerkannt wurden, arbeiten zum Großteil Frauen*:

Die bereits beschriebene zusätzliche Belastung durch Reproduktionsarbeit kommt auch bei Frauen*, die in diesem Bereich tätig sind, häufig hinzu. Auch wenn es für diese Berufe eine Notbetreuung gibt, so bleibt nicht viel Zeit nach Feierabend, in der die Kinder nicht rausgehen und am Besten keine Freund*innen treffen sollen. Die Arbeit nach der Lohnarbeit geht also weiter und an Entlastung und Entspannung ist kaum zu denken. Da helfen auch Applause vom Balkon nicht viel.
Es lässt sich erkennen, dass zum einen soziale Ungleichheiten verstärkt hervortreten und eine Durchführung der zur Zeit wichtigen Maßnahmen nicht für alle so umsetzbar ist sowie schwerwiegende Auswirkungen haben kann. Als feministischer Zusammenhang war es uns wichtig, anhand von kurzen Beispielen diese Themen anzureißen. 
Es bleiben unter Anderem weitere Fragen offen: wie ist die Situation von migrantischen Frauen* in Lagern sowie in einer zunehmend rassistischen Gesellschaft? Welche Einschränkungen sind für Sexarbeiter*innen zur Zeit spürbar? Wie sind queere Personen, zum Beispiel durch das Schließen von Arztpraxen, betroffen? Wie sieht es mit dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und Schwangerschaftsabbrüche in Zeiten der „Corona-Krise“ aus?
Um zu erkennen, dass wir eben nicht alle gleich mit den Maßnahmen umgehen können, da nicht alle die gleichen Voraussetzungen dazu haben, bedarf es einer Auseinandersetzung mit dem gegenwärtig kapitalistisch-patriarchalen System und unterschiedlich verteilten Privilegien sowie das Stärken solidarischer Vernetzungen und das Stellen politischer Forderungen.
Lasst uns solidarisch miteinander bleiben und andere Lebensrealitäten mitdenken, bevor wir Menschen dafür verurteilen, dass sie „Regeln nicht einhalten“! Lasst uns miteinander sprechen und uns nicht alleine lassen in der Isolation! Lasst uns Nummern von Beratungsstellen für häusliche Gewalt in der Nachbar*innenschaft verteilen! Lasst uns für gegenseitige Entlastung sorgen, indem wir füreinander einkaufen gehen und anbieten, Kinderbetreuung zu übernehmen! Lasst uns den temporären Leerstand durch den ausbleibenden Tourismus nutzen und die Räume für Personen ohne (sicheren) Wohnraum und geflüchtete Menschen, die in Lagern leben müssen, öffnen! Und lasst uns nicht vergessen, wie stark wir gemeinsam sind! Lasst uns den unterdrückenden Strukturen mit kreativen Protestformen, bei denen wir uns und andere schützen, etwas entgegensetzen!
fiafeminismusinaktion.noblogs.org


[Kommentar] Eindrücke aus der Parallelwelt einer Erzieherin

Die Stimme der Schulleiterin schallt am Freitag durch die Sprechanlage: nach Vorgabe des Senats sei die Schule ab Dienstag geschlossen. Die Kakophonie aus Jubelrufen und hysterischem Weinen lässt nicht lange auf sich warten. Fragen über Fragen: Wann macht die Schule wieder auf? Ist die Klassenfahrt abgesagt? Haben wir jetzt Ferien? Kann ich meine Freunde dann nicht mehr treffen? Hat jemand an der Schule Corona? Viele Fragen bleiben an diesem Freitag unbeantwortet. Ruhe bewahren, trösten, ermutigen, Verunsicherung auffangen trotz der eigenen Unsicherheit.

Am folgenden Montag nochmal volles Haus; Materialien mitnehmen, die kommenden Wochen planen, essen gehen, ein letztes Mal mit den Freunden auf dem Schulhof spielen. Der Dienstschluss wird zwei Stunden vorverlegt. 

Ab Dienstag dann der Einsatz in der Notbetreuung. Da nur wenige Eltern Anspruch auf Notbetreuung haben sind dementsprechend wenig Kinder vor Ort. Das ermöglicht es, coole Sachen zu machen für die im Alltag wenig Zeit bleibt. Gleichzeitig heißt es Abstand halten, ständig Hände waschen, nicht ins Gesicht fassen, Türklinken, Fenstergriffe, Heizungsthermostate, Spülkästen, Telefone, Tische desinfizieren und regelmäßig schulfremde Personen dazu auffordern das Schulgelände zu verlassen. Der Blick aus dem Fenster in den nahegelegenen Park mit Spielplatz ist wie ein Blick in eine Parallelwelt. Trotz drohender Ausgangssperre ist es knackevoll. Da wird gerutscht, geschaukelt, Basketball gespielt, Eis gegessen, Bier in der ersten Frühlingssonne getrunken. Business as usual. Wie erklärt man Kindern diesen Unterschied, ohne Ängste zu befeuern? Für mich ist diese Situation schwer auszuhalten. Am darauffolgenden Montag treten die Ausgangsbeschränkungen in Kraft.Wer möchte, hat die Möglichkeit in der Notbetreuung für das Klinikpersonal auszuhelfen. Ich melde mich freiwillig. Aus Solidarität mit dem Personal im Gesundheitssektor – helfen wo es am dringendsten notwendig ist und dabei ein Stück Normalität aufrechterhalten. Das zu betreuende Kind ist erkältet. Von Trägerseite wurde mir versichert, nur gesunde, nicht kränkelnde Kinder können betreut werden. Ich spreche die Situation an. Ob mich das verunsichert, werde ich gefragt. Ich stehe zwei gesunden Erwachsenen gegenüber und halte zwei Meter Abstand. Mit dem erkälteten Kind ist das nicht so einfach. Sich an Vorgaben zu halten, die selbst Erwachsenen schwer fallen, kann man von Kindern nicht erwarten. Ja, das verunsichert mich. 

Viele der sogenannten systemrelevanten Berufe sind traditionell „Frauenberufe“ und gehören in den Bereich der Care-Arbeit. Kranken- und Altenpfleger*innen, Kassierer*innen, Reinigungskräfte und diverse andere Berufsgruppen erleben momentan endlich Anerkennung und Wertschätzung für ihre Arbeit. Da wird von Balkonen geklatscht, von Solidarität, besseren Arbeitsbedingungen und angemessener Bezahlung gesprochen. Erzieher*innen finden in diesen Aufzählungen nur selten bis gar keine Erwähnung. Auch der soziale Bereich wurde in den vergangenen Jahrzehnten systematisch kaputtgespart. In Zeiten von Covid-19 stehen Erzieher*innen im Umgang mit Kindern vor besonderen Herausforderungen. Effektiven Infektionsschutz zu gewährleisten, gestaltet sich in der Praxis schwierig. Kindern fällt es schwer, sich an Abstandsvorgaben und Hust- und Niesetikette zu halten. Altersabhängig brauchen sie Unterstützung beim Toilettengang, Händewaschen, Naseputzen und Essen. Sie suchen Trost und Nähe bei Erwachsenen und Kindern, verlieren sich im Spiel, fassen sich und anderen ins Gesicht und so weiter. Ob Schutzbekleidung ein angemessenes Mittel ist, um die Risiken zu mindern, ist fraglich. Was macht es mit Kindern, wenn sie von Menschen mit Masken und Gummihandschuhen betreut werden?

Auch Erzieher*innen setzen sich einem erhöhten Infektionsrisiko aus und tragen die psychischen Belastungen der Ausnahmesituation mit. Es bleibt zu hoffen und zu fordern, dass sich diese Erkenntnis in der Anerkennung und Wertschätzung des Berufes, sowohl monetär als auch in den Arbeitsbedingungen, widerspiegelt.



Deutschland will keine europäische Lösung

Deutschland verbietet die Ausfuhr von Masken und Beatmungsgeräten und lehnt sogenannte Corona-Bonds ab. Das ist unsolidarisch.

Die ganze Welt kämpft mit den medizinischen und wirtschaftlichen Folgen von COVID-19. Die Auswirkungen der Pandemie betreffen aber verschiedene Teile der Welt in unterschiedlicher Stärke. Das Gesundheitswesen in Afrika oder Indien ist stärker bedroht als das Gesundheitswesen in Europa und den USA. Ebenso sind auch innerhalb der Europäischen Union verschiedene Staaten unterschiedlich stark betroffen. Während in Deutschland noch verhältnismäßig wenig Menschen an den Folgen der Atemwegserkrankung starben, brechen die Gesundheitssysteme Spaniens und Italiens zusammen. Spanien und Italien wurden schon von der letzten wirtschaftlichen Krise von 2008 stärker getroffen als Deutschland. Und die kaputtgesparten Gesundheitssysteme dieser Länder sind eine direkte Folge der von Deutschland erzwungenen Sparmaßnahmen.

Die italienische Philosophin Donatella Di Cesare sagt in einem Interview mit der
Zeit: „Doch die Italienerinnen und Italiener sind sehr enttäuscht von Europa. Warum gibt es jetzt keine europäische Politik, warum koordiniert die EU nicht die Verteilung der Masken oder Beatmungsgeräte? Die EU hat versagt, die EU ist in dieser Krise nicht da. Nicht einmal symbolisch, nicht logistisch und auch nicht politisch. In diesem konkreten Moment merken wir: Europa existiert nicht.“
Viele in Deutschland regen sich verständlicherweise darüber auf, dass die USA unter Trump Atemmasken aus China, die für Berlin bestimmt waren, beschlagnahmt hat. Aber kaum jemand stört sich daran, dass Deutschland bereits am 04.03.2020 die Ausfuhr von Masken und Beatmungsgeräten verboten hat. Dieses medizinische Material hätte Italien zu dem Zeitpunkt dringend benötigt. Dass Deutschland nun einige Patienten unter anderem aus Italien aufgenommen hat, ist ein rein symbolischer Akt.  

Nicht nur medizinisch, sondern auch wirtschaftlich zeigt sich Deutschland nicht solidarisch. Deutlich wird das vor allem an dem Streit über die sogenannten Corona- oder Euro-Bonds. Staaten können am Kapitalmarkt Geld leihen. Das nennt man Staatsanleihen. Die Idee hinter den Euro-Bonds ist, dass alle EU Staaten gemeinsam Anleihen aufnehmen, um die ökonomischen Folgen des Ausnahmezustands abzumildern. Das würde dann für die ärmeren Staaten billiger, für die reicheren Staaten teurer werden. 

Nun kann man aus guten Gründen solche Anleihen kritisieren. Schließlich verdienen die Banken, die selbst eine Schuld an dem wirtschaftlichen Teil der Krise haben, an diesen. 
Das ist aber nicht der Grund, weshalb Deutschland, Österreich, die Niederlande und Finnland dieses Konzept ablehnen. Sie haben nichts dagegen, den Banken Zinsen für die Anleihen zu zahlen. Ihnen geht es darum, dass sie nicht für die Schulden der ärmeren Staaten zahlen wollen. Am 07.04. haben sich die Finanzminister*innen der EU bei einer Videokonferenz nicht auf eine gemeinsame Position einigen können. Uneinigkeit bestand vor allem bei den Corona-Bonds. Zwar sind nur die vier genannten Staaten strikt gegen die Europäischen Anleihen. Aber weil die EU-Länder die Aufnahme solcher Anleihen einstimmig beschließen müssen, können einzelne Staaten sie verhindern. Es hat also einen faden Beigeschmack, wenn ausgerechnet der deutsche Finanzminister und Vize-Kanzler Olaf Scholz (SPD) twittert: “In dieser schweren Stunde muss Europa eng zusammenstehen. Gemeinsam mit (dem französischen Finanzminister) Bruno LeMaire rufe ich deshalb alle Euroländer auf, sich einer Lösung dieser schwierigen Finanzfragen nicht zu verweigern und einen guten Kompromiss zu ermöglichen – für alle Bürgerinnen und Bürger.” In erster Linie verweigert sich aber Deutschland den Euro-Bonds. Dadurch sind die südeuropäischen Länder den Konsequenzen der Krise schonungslos ausgeliefert. In Teilen Italiens haben die Menschen schon jetzt kein Geld mehr, um ihr Essen zu bezahlen.


Ideen für eine bessere Welt nach Corona

Egal wie lange sie dauert: Nach der Coronakrise wird sich unser Leben grundlegend verändert haben. Auf der einen Seite erleben wir durch die Ausgangssperren eine massive Einschränkung von Grund- und Menschenrechten. Hier besteht die große Gefahr, dass Maßnahmen, die zur Eindämmung des Virus durchaus sinnvoll erscheinen, auch nach der Pandemie aufrechterhalten werden.

Andererseits zeigt sich in der Krise die Möglichkeit der grundlegenden Veränderung unserer gesellschaftlichen Verhältnisse. Die Krise konfrontiert uns mit der Frage: Wie wollen wir als Gesellschaft zukünftig miteinander leben? Die staatlichen Notfallmaßnahmen und die Produktionsumstellung einiger Konzerne zeigen, dass eine am gesellschaftlichen Bedarf geplante Produktion möglich und vernünftig ist. Dass nun plötzlich innerhalb von Wochen Krankenhäuser gebaut werden, Konzerne nun statt Autos Beatmungsgeräte produzieren und vieles mehr, zeigt uns ganz konkret, wie eine bedürfnisorientierte Produktion aussehen könnte. 

Zwar dient die Planung der Produktion in der momentanen Krise lediglich dazu, das Schlimmste zu verhindern, während die gesamtgesellschaftliche Produktion weiterhin an den Interessen des Kapitals orientiert bleibt. Dennoch macht es uns sichtbar, was alles geht, wenn es drauf ankommt. Und jetzt, lasst uns mal vorstellen, was alles möglich wäre, wenn wir als Gesellschaft unsere Bedürfnisse gemeinsam und langfristig planen – und diese nicht mehr nach Profitinteressen ausrichten. Wenn wir uns darauf besinnen, was im Leben wirklich wichtig ist und wie wir das gemeinschaftlich erreichen können.
Was, wie und zu welchem Zweck wollen wir als Gesellschaft produzieren? Was ist relevant und wie wollen wir unsere Städte und unser soziales Zusammenleben gestalten? 

Durch die Entwicklung von Maschinerie und technischem Know-How in den letzten Jahrhunderten, wäre es heute problemlos möglich, alle Menschen auf diesem Planeten aus einem Leben in Armut zu befreien. Es gibt ausreichend Wohnungen, Nahrungsmittel und Infrastruktur, damit alle Menschen weltweit in dieser schweren Zeit, aber auch danach ein menschenwürdiges Leben führen könnten. Und dort, wo dies bisher noch nicht möglich war, werden künftig alle Kräfte investiert, um menschenwürdige Lebensverhältnisse aufzubauen. Ohne, dass es dabei um irgendwelche betriebswirtschaftlichen Rechnereien und kapitalistischen Marktgesetze gehen muss. Für eine von den Zwängen des Wachstums und der Profitmaximierung befreiten Gesellschaft, wäre es ein Leichtes, in Zeiten einer Pandemie zum Schutz der Bevölkerung die gesellschaftliche Produktion von Gütern auf das Lebensnotwendige herunterzufahren. Es wäre möglich, Einschränkungen ohne Existenzängste zu überstehen, da sie die eigene Lebensgrundlage nicht gefährden würden. Menschen, deren Einkommen gerade wegbricht oder extrem reduziert wird, müssten sich keine Sorgen um ihre Existenzen machen. Denn der angehäufte gesellschaftliche Reichtum an Gütern stünde uns allen zur Verfügung. Wir müssten nicht mehr schauen, wie wir unseren Kopf über Wasser halten. Es wäre möglich, alle zur Verfügung stehenden Maschinen und Ressourcen der Welt konsequent auf den Ausbau von Krankenhäusern, der Herstellung von Beatmungsgeräten und –masken auszurichten. Gemeinschaftlich wäre es möglich einen Lockdown zu überstehen ohne danach vor dem Ruin zu stehen.  

Eine vollkommen andere Gesellschaft ist möglich: Eine Gesellschaft, die nicht mehr auf den Prinzipien des Profits, der Konkurrenz und auf dem Vertrauen in freie Märkte aufbaut. Es besteht die Möglichkeit, sich der Fesseln der Logik von Wachstum und Profit zu entledigen. Die globale Produktion kann der Logik der Profitmaximierung entrissen und an den Bedürfnissen aller Menschen ausgerichtet werden. Der Kapitalismus ist das Problem und kein Naturzustand. Und außerdem stellen wir fest: Dies wäre ein Schritt, der unmittelbar jedem Menschen zugutekommen würde. 
Die drohende Alternative zu diesem Schritt wäre eine Politik, die vor allem für Konzerne und weniger für deren Beschäftigte, Schutzschirme spannt. Die Folgen der Coronakrise würden auf dem Rücken der sozial Schwachen ausgetragen werden. Wohin uns dieser Weg führt, zeigt sich schon jetzt: Die Arbeitsbedingungen für die eben noch als systemrelevante Held*innen gefeierten im Gesundheitssektor verschlechtern sich gerade drastisch durch die Lockerung des Arbeitszeitgesetzes. Dies ist der Dank der Herrschenden, der uns alle erwarten wird, sobald es um die Verteilung der Kosten dieser Krise gehen wird – wenn wir nicht endlich Schluss mit diesem kapitalistischen System machen.
Nur dort, wo sich eine Kooperation und Solidarität einstellt, kann es gelingen, den ungeheuren Kräften der Märkte zu trotzen. Die ersten Zeichen der nachbarschaftlichen Solidarität, der Sorge und Rücksichtnahme sind ein großer Hoffnungsschimmer.  Wir sollten uns als Nachbar*innen besser kennen lernen und gemeinsam mit euch unter dem Banner der Solidarität Strukturen aufbauen, die die kommenden Angriffe auf unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen abwehren können. Die Solidaritäten, die wir heute knüpfen, werden die Grundlage sein, für die Kämpfe um eine Neuordnung der Welt nach Corona.