Bußgeldkatalog als Klassenfrage

Der Berliner Senat hat einen Corona-Bußgeldkatalog beschlossen. Gerade weil er alle gleich behandelt, verstärkt er soziale Ungleichheit. 

Am 2. April hat der Berliner Senat einen
Bußgeldkatalog zur Ahndung von Verstößen gegen die Verordnung zur Eindämmung des Coronavirus in Berlin beschlossen. Wer demnach an einer laut der Verordnung verbotenen Veranstaltung teilnimmt, muss 50 bis 500 Euro Strafe zahlen. Das gilt zum Beispiel für Demonstrationen. Am stärksten sind die meisten Berlinerinnen wohl von den Bußgeldern für Verstöße gegen §14 der Verordnung betroffen. Darin geht es um die  Kontaktbeschränkungen im Stadtgebiet von Berlin.
Bei jeder Person, die dabei erwischt wird, sich nicht in ihrer Wohnung aufzuhalten, ohne zu Spazieren, zur Arbeit zu gehen oder Sport zu treiben, wird eine Bußgeld von 10 bis 100 Euro fällig. Bei Nichteinhaltung des Mindestabstandes von 1,5 Metern drohen Strafen von 25 bis 500 Euro.

Auf den ersten Blick scheinen die Bußgelder alle Menschen gleichermaßen zu betreffen. Aber genau in dieser Gleichbehandlung liegt eine Ungleichbehandlung. Wie der französische Schriftsteller Anatole France schon vor hundert Jahren bemerkte,
verbieten die Gesetze es Armen und Reichen gleichermaßen, unter Brückenbogen zu nächtigen. Während aber der Reiche einfach eines seiner vielen Betten nutzen kann, ist ein Obdachloser womöglich darauf angewiesen unter einer Brücke zu schlafen. So ungerecht kann Gleichbehandlung sein. 
Das gleiche gilt für den Bußgeldkatalog. Wer im Garten seiner/ihrer Villa in Grunewald grillen kann, kommt nicht so sehr in Versuchung gegen die Ausgangsbeschränkungen zu verstoßen wie die Kleinfamilie im Plattenbau in Marzahn. Wer reich ist, kann auch leichter eine Strafe von 500 Euro verkraften. Bei einer Hartz-IV-Empfängerin bedeuten der Verlust von 500 Euro den Entzug der Lebensgrundlage. 

Auf seiner Homepage schreibt der Senat über den Bußgeldkatalog folgendes: „Ziel ist es, den Ordnungsbehörden einen Orientierungsrahmen bei der Bemessung des Bußgelds für Verstöße im Einzelfall an die Hand zu geben. Dabei sind die Bußgelder in Form von Rahmen angegeben.“ Alle Bußgelder sind daher in einem
“von… bis“-Rahmen angegeben. Das könnte so verstanden werden, dass die Behörden einen Spielraum haben, auch die soziale Lage der betroffenen Person mit einzubeziehen. Dies ist aber bei einem Bußgeldkatalog nicht der Fall. Die Behörde verhängt die Bußgelder eher nach der Schwere des Verstoßes. Anders als bei Tagessätzen, die das Einkommen des Angeklagten berücksichtigen, werden Bußgelder für alle gleichermaßen fällig. So verstärkt der Corona-Bußgeldkatalog durch seine Gleichbehandlung die soziale Ungleichheit.