Braucht es einen Mietstreik?

Nach allem, was den Nachrichten der letzten Wochen zu entnehmen war, müssen wir davon ausgehen, dass uns eine Wirtschaftskrise von bisher nicht gekanntem Ausmaß bevorsteht. Ihr Beginn macht sich auch hierzulande bereits bemerkbar: viele haben ihren Job verloren oder wurden in Kurzarbeit geschickt. Ein großer Teil des Einzelhandels verfügt momentan über keinerlei Einnahmen und wird die kommende Zeit nicht überstehen, wodurch die Arbeitslosenzahlen weiter nach oben gehen werden. Auf die Frage, wie sie die eigene Miete bezahlen sollen, werden viele keine Antwort mehr finden.

Und auch der Staat wird sie nicht liefern. Ein kürzlich erlassenes Gesetz „zum Schutz der Mieter“, das erlaubt die Mietzahlung temporär auszusetzen und bis 2022 nachzuholen, entpuppt sich bei genauer Betrachtung als Makulatur. Sie zögert den Verlust unserer Wohnungen lediglich hinaus. Denn brechen wir die momentane Situation herunter, befinden wir uns in folgender misslichen Lage: Unser Einkommen fällt gerade zu einem großen Teil weg. In der kommenden Zeit werden unsere Löhne weiter sinken, sofern wir unseren Job nicht ganz verlieren und auf ebenfalls sinkende staatliche Unterstützung angewiesen sein werden. Gleichzeitig sind wir aber gezwungen, zusätzliches Geld zu beschaffen, um die Miete der Corona-Monate bis 2022 nachzuzahlen. Das ist für viele, deren Geld schon jetzt kaum zum Leben reicht, schlichtweg nicht möglich.

Anstatt das Immobilienkapital, das sich in den letzten 30 Jahren nicht nur in Berlin dumm und dämlich verdient hat, durch eine Mietminderung an den Kosten der Krise zu beteiligen, werden wir gezwungen, uns dauerhaft zu verschulden und für die Mietrückstände aufzukommen. Wer das nicht kann oder möchte, wird die Wohnung verlieren. Das Gesetz “zum Schutz der Mieter” ist also viel eher eines “zum Schutz der Vermieter”, die auch in der Krise nicht auf ihre Gewinne verzichten müssen. Die unerträgliche Entwicklung Berlins in ein Anlageparadies für Gutverdienende und Briefkastenfirmen, in dem täglich Menschen aus ihren Wohnungen zwangsgeräumt werden, wird sich im Zuge der jetzigen Krise rasant beschleunigen.

Diese Situation stellt uns vor die Wahl, ob wir uns individuell diesem Schicksal fügen oder die Machtverhältnisse in dieser Stadt durch eine kollektive Organisierung der Mieterinnen in eine andere Richtung lenken wollen. Damit haben Menschen in Spanien und den USA begonnen, indem sie Anfang April in einen Mietstreik traten und ihre Miete am 1. des Monats nicht mehr gezahlt haben. Viele davon haben keine andere Wahl. Andere wiederum befinden sich in einem solidarischen Mietstreik, um eine politische Bewegung aufzubauen und zahlungsunfähige Mieterinnen vor den Konsequenzen zu schützen. Denn unsere Vermieterinnen können keinen ganzen Häuserblock, geschweige denn ein ganzes Stadtviertel zwangsräumen lassen, wenn wir unsere Miete kollektiv verweigern. Durch einen Mietstreik ließe sich die eigene Ohnmacht, die wir täglich durch unsere Verdrängung und die Verwandlung unserer Kieze in lebensfeindliche Orte für Geringverdienende erfahren, binnen kürzester Zeit überwinden.

Es erscheint uns, mit Verlaub, als schlechter Scherz, dass wir in der momentanen Krise die Gewinne des Immobilienkapitals bezahlen sollen und zeitgleich Großkonzerne wie Deichmann, C&A und H&M, letzteres mit einem Jahrumsatz von 25,2 Milliarden US-Dollar, ihre Miete verweigern. Während Medien und Politik uns einreden möchten, dass wir in der jetzigen Zeit alle in einem Boot säßen, beginnt sich das Kapital bereits zu organisieren. Die Kosten der Krise sollen bestmöglich auf den ärmeren Teil der Bevölkerung abgewälzt werden. Um dem etwas entgegenzusetzen und zu verhindern, dass wir in den kommenden Jahren nach und nach aus unseren Wohnungen geworfen werden, bleibt uns keine andere Wahl, als uns ebenfalls kollektiv zu organisieren. Sprecht mit euren Nachbarinnen über ihre ökonomische Situation und überlegt, wie ihr euch gegenseitig unterstützen und Widerstand organisieren könnt. Wir müssen damit aufhören, so lange bis wir es nicht mehr können, unsere Zahlungen für ein unmenschliches System zu leisten, in dem gerade tausende, zum Teil vorerkrankte Menschen auf der Straße schlafen, obwohl alle Hotelzimmer leer stehen, und das uns alle – eher früher als später – in die Katastrophe führt. Ein Mietstreik wäre ein erster Schritt diesem Spuk ein Ende zu setzen.

Wo erhalte Unterstützung, wenn ich die Miete nicht mehr zahlen kann?

Berliner Mieterverein
Telefonische Kurzberatung montags bis freitags von 13 bis 16 Uhr sowie montags und donnerstags von 17 bis 20 Uhr unter Telefon 030-226 26-152

Wo bekomme ich neue Infos über die Organisation des Mietstreiks?
www.wirzahlennicht.info (Seite im Aufbau)

Bußgeldkatalog als Klassenfrage

Der Berliner Senat hat einen Corona-Bußgeldkatalog beschlossen. Gerade weil er alle gleich behandelt, verstärkt er soziale Ungleichheit. 

Am 2. April hat der Berliner Senat einen
Bußgeldkatalog zur Ahndung von Verstößen gegen die Verordnung zur Eindämmung des Coronavirus in Berlin beschlossen. Wer demnach an einer laut der Verordnung verbotenen Veranstaltung teilnimmt, muss 50 bis 500 Euro Strafe zahlen. Das gilt zum Beispiel für Demonstrationen. Am stärksten sind die meisten Berlinerinnen wohl von den Bußgeldern für Verstöße gegen §14 der Verordnung betroffen. Darin geht es um die  Kontaktbeschränkungen im Stadtgebiet von Berlin.
Bei jeder Person, die dabei erwischt wird, sich nicht in ihrer Wohnung aufzuhalten, ohne zu Spazieren, zur Arbeit zu gehen oder Sport zu treiben, wird eine Bußgeld von 10 bis 100 Euro fällig. Bei Nichteinhaltung des Mindestabstandes von 1,5 Metern drohen Strafen von 25 bis 500 Euro.

Auf den ersten Blick scheinen die Bußgelder alle Menschen gleichermaßen zu betreffen. Aber genau in dieser Gleichbehandlung liegt eine Ungleichbehandlung. Wie der französische Schriftsteller Anatole France schon vor hundert Jahren bemerkte,
verbieten die Gesetze es Armen und Reichen gleichermaßen, unter Brückenbogen zu nächtigen. Während aber der Reiche einfach eines seiner vielen Betten nutzen kann, ist ein Obdachloser womöglich darauf angewiesen unter einer Brücke zu schlafen. So ungerecht kann Gleichbehandlung sein. 
Das gleiche gilt für den Bußgeldkatalog. Wer im Garten seiner/ihrer Villa in Grunewald grillen kann, kommt nicht so sehr in Versuchung gegen die Ausgangsbeschränkungen zu verstoßen wie die Kleinfamilie im Plattenbau in Marzahn. Wer reich ist, kann auch leichter eine Strafe von 500 Euro verkraften. Bei einer Hartz-IV-Empfängerin bedeuten der Verlust von 500 Euro den Entzug der Lebensgrundlage. 

Auf seiner Homepage schreibt der Senat über den Bußgeldkatalog folgendes: „Ziel ist es, den Ordnungsbehörden einen Orientierungsrahmen bei der Bemessung des Bußgelds für Verstöße im Einzelfall an die Hand zu geben. Dabei sind die Bußgelder in Form von Rahmen angegeben.“ Alle Bußgelder sind daher in einem
“von… bis“-Rahmen angegeben. Das könnte so verstanden werden, dass die Behörden einen Spielraum haben, auch die soziale Lage der betroffenen Person mit einzubeziehen. Dies ist aber bei einem Bußgeldkatalog nicht der Fall. Die Behörde verhängt die Bußgelder eher nach der Schwere des Verstoßes. Anders als bei Tagessätzen, die das Einkommen des Angeklagten berücksichtigen, werden Bußgelder für alle gleichermaßen fällig. So verstärkt der Corona-Bußgeldkatalog durch seine Gleichbehandlung die soziale Ungleichheit.  

Deutschland will keine europäische Lösung

Deutschland verbietet die Ausfuhr von Masken und Beatmungsgeräten und lehnt sogenannte Corona-Bonds ab. Das ist unsolidarisch.

Die ganze Welt kämpft mit den medizinischen und wirtschaftlichen Folgen von COVID-19. Die Auswirkungen der Pandemie betreffen aber verschiedene Teile der Welt in unterschiedlicher Stärke. Das Gesundheitswesen in Afrika oder Indien ist stärker bedroht als das Gesundheitswesen in Europa und den USA. Ebenso sind auch innerhalb der Europäischen Union verschiedene Staaten unterschiedlich stark betroffen. Während in Deutschland noch verhältnismäßig wenig Menschen an den Folgen der Atemwegserkrankung starben, brechen die Gesundheitssysteme Spaniens und Italiens zusammen. Spanien und Italien wurden schon von der letzten wirtschaftlichen Krise von 2008 stärker getroffen als Deutschland. Und die kaputtgesparten Gesundheitssysteme dieser Länder sind eine direkte Folge der von Deutschland erzwungenen Sparmaßnahmen.

Die italienische Philosophin Donatella Di Cesare sagt in einem Interview mit der
Zeit: „Doch die Italienerinnen und Italiener sind sehr enttäuscht von Europa. Warum gibt es jetzt keine europäische Politik, warum koordiniert die EU nicht die Verteilung der Masken oder Beatmungsgeräte? Die EU hat versagt, die EU ist in dieser Krise nicht da. Nicht einmal symbolisch, nicht logistisch und auch nicht politisch. In diesem konkreten Moment merken wir: Europa existiert nicht.“
Viele in Deutschland regen sich verständlicherweise darüber auf, dass die USA unter Trump Atemmasken aus China, die für Berlin bestimmt waren, beschlagnahmt hat. Aber kaum jemand stört sich daran, dass Deutschland bereits am 04.03.2020 die Ausfuhr von Masken und Beatmungsgeräten verboten hat. Dieses medizinische Material hätte Italien zu dem Zeitpunkt dringend benötigt. Dass Deutschland nun einige Patienten unter anderem aus Italien aufgenommen hat, ist ein rein symbolischer Akt.  

Nicht nur medizinisch, sondern auch wirtschaftlich zeigt sich Deutschland nicht solidarisch. Deutlich wird das vor allem an dem Streit über die sogenannten Corona- oder Euro-Bonds. Staaten können am Kapitalmarkt Geld leihen. Das nennt man Staatsanleihen. Die Idee hinter den Euro-Bonds ist, dass alle EU Staaten gemeinsam Anleihen aufnehmen, um die ökonomischen Folgen des Ausnahmezustands abzumildern. Das würde dann für die ärmeren Staaten billiger, für die reicheren Staaten teurer werden. 

Nun kann man aus guten Gründen solche Anleihen kritisieren. Schließlich verdienen die Banken, die selbst eine Schuld an dem wirtschaftlichen Teil der Krise haben, an diesen. 
Das ist aber nicht der Grund, weshalb Deutschland, Österreich, die Niederlande und Finnland dieses Konzept ablehnen. Sie haben nichts dagegen, den Banken Zinsen für die Anleihen zu zahlen. Ihnen geht es darum, dass sie nicht für die Schulden der ärmeren Staaten zahlen wollen. Am 07.04. haben sich die Finanzminister*innen der EU bei einer Videokonferenz nicht auf eine gemeinsame Position einigen können. Uneinigkeit bestand vor allem bei den Corona-Bonds. Zwar sind nur die vier genannten Staaten strikt gegen die Europäischen Anleihen. Aber weil die EU-Länder die Aufnahme solcher Anleihen einstimmig beschließen müssen, können einzelne Staaten sie verhindern. Es hat also einen faden Beigeschmack, wenn ausgerechnet der deutsche Finanzminister und Vize-Kanzler Olaf Scholz (SPD) twittert: “In dieser schweren Stunde muss Europa eng zusammenstehen. Gemeinsam mit (dem französischen Finanzminister) Bruno LeMaire rufe ich deshalb alle Euroländer auf, sich einer Lösung dieser schwierigen Finanzfragen nicht zu verweigern und einen guten Kompromiss zu ermöglichen – für alle Bürgerinnen und Bürger.” In erster Linie verweigert sich aber Deutschland den Euro-Bonds. Dadurch sind die südeuropäischen Länder den Konsequenzen der Krise schonungslos ausgeliefert. In Teilen Italiens haben die Menschen schon jetzt kein Geld mehr, um ihr Essen zu bezahlen.

Wenn Frauen* nicht zuhause bleiben können

Am 8. März, dem internationalen Frauen*kampftag gingen weltweit Millionen Menschen gegen patriarchiale Strukturen und Unterdrückung auf die Straße. Jetzt, wenige Wochen später, ist diese Form des Ausdrucks nicht mehr möglich. Doch gerade jetzt treten gesellschaftliche Unterdrückung und Ungleichheit besonders deutlich und heftig auf.

Zuhause ist nicht für alle sicher

Die Isolation verschärft bereits bestehende Gewalt in Partner*innenschaften, Familien und anderen Wohnformen und führt zu einem Anstieg von sogenannter häuslicher Gewalt. Diese richtet sich vornehmlich gegen Frauen* und Kinder. Viele Frauen*häuser, die sowieso überfüllt sind, sind höchst besorgt und erwarten einen weiteren Anstieg häuslicher Gewalt in den kommenden Wochen. Die Möglichkeit die Wohnung zu verlassen und sich Freiraum zu schaffen, ist für die Betroffenen oft (über-)lebenswichtig. Oft wird Gewalt erst in der Schule, Kita oder auf der Arbeit sichtbar, wenn Betroffene nach außen Signale senden können, dass etwas nicht stimmt. Bleibt die Gewalt nun noch unsichtbarer als ohnehin schon – während die Zahlen zusätzlich steigen? Lasst uns miteinander sprechen und füreinander da sein in der Isolation! Lasst uns aufmerksam sein, Nummern von Beratungsstellen für häusliche Gewalt und Kinderschutz an unsere Nachbarinnen und Freundinnen verteilen und sie ermutigen, darüber zu sprechen.

Nicht alle haben ein zuhause

Für wohnungslose Menschen stellen die Ausgangsbeschränkungen, die mit Bußgeldern geahndet werden, eine noch größere Schwierigkeit dar. Sie können nicht ‚zuhause‘ bleiben. Besonders obdachlose Frauen* sind hierbei mit weitreichenden Folgen konfrontiert: Rückzugsorte wie Biblliotheken, Cafés und Tagesaufenthalte fehlen. Dadurch ist  der Schutz vor sexualisierter Gewalt im öffentlichen Raum noch weniger gewährleistet als eh schon. Außerdem gibt es kaum öffentlich zugängliche Sanitäranlagen. Wo sollen Frauen* nun den Tampon/Binde/Cup wechseln? Wo sollen sie sich die Hände waschen? Wo können sie sicher auf Toilette gehen, ohne dabei dem Risiko ausgesetzt zu sein, sexualisierte Gewalt zu erfahren? Lasst uns solidarisch miteinander sein und andere Lebensrealitäten mitdenken, bevor wir Menschen dafür verurteilen, dass sie “Regeln nicht einhalten”!

• online weiterlesen: https://fiafeminismusinaktion.noblogs.org

[Kommentar] Eindrücke aus der Parallelwelt einer Erzieherin

Die Stimme der Schulleiterin schallt am Freitag durch die Sprechanlage: nach Vorgabe des Senats sei die Schule ab Dienstag geschlossen. Die Kakophonie aus Jubelrufen und hysterischem Weinen lässt nicht lange auf sich warten. Fragen über Fragen: Wann macht die Schule wieder auf? Ist die Klassenfahrt abgesagt? Haben wir jetzt Ferien? Kann ich meine Freunde dann nicht mehr treffen? Hat jemand an der Schule Corona? Viele Fragen bleiben an diesem Freitag unbeantwortet. Ruhe bewahren, trösten, ermutigen, Verunsicherung auffangen trotz der eigenen Unsicherheit.

Am folgenden Montag nochmal volles Haus; Materialien mitnehmen, die kommenden Wochen planen, essen gehen, ein letztes Mal mit den Freunden auf dem Schulhof spielen. Der Dienstschluss wird zwei Stunden vorverlegt. 

Ab Dienstag dann der Einsatz in der Notbetreuung. Da nur wenige Eltern Anspruch auf Notbetreuung haben sind dementsprechend wenig Kinder vor Ort. Das ermöglicht es, coole Sachen zu machen für die im Alltag wenig Zeit bleibt. Gleichzeitig heißt es Abstand halten, ständig Hände waschen, nicht ins Gesicht fassen, Türklinken, Fenstergriffe, Heizungsthermostate, Spülkästen, Telefone, Tische desinfizieren und regelmäßig schulfremde Personen dazu auffordern das Schulgelände zu verlassen. Der Blick aus dem Fenster in den nahegelegenen Park mit Spielplatz ist wie ein Blick in eine Parallelwelt. Trotz drohender Ausgangssperre ist es knackevoll. Da wird gerutscht, geschaukelt, Basketball gespielt, Eis gegessen, Bier in der ersten Frühlingssonne getrunken. Business as usual. Wie erklärt man Kindern diesen Unterschied, ohne Ängste zu befeuern? Für mich ist diese Situation schwer auszuhalten. Am darauffolgenden Montag treten die Ausgangsbeschränkungen in Kraft. Wer möchte, hat die Möglichkeit in der Notbetreuung für das Klinikpersonal auszuhelfen. Ich melde mich freiwillig. Aus Solidarität mit dem Personal im Gesundheitssektor – helfen wo es am dringendsten notwendig ist und dabei ein Stück Normalität aufrechterhalten. Das zu betreuende Kind ist erkältet. Von Trägerseite wurde mir versichert, nur gesunde, nicht kränkelnde Kinder können betreut werden. Ich spreche die Situation an. Ob mich das verunsichert, werde ich gefragt. Ich stehe zwei gesunden Erwachsenen gegenüber und halte zwei Meter Abstand. Mit dem erkälteten Kind ist das nicht so einfach. Sich an Vorgaben zu halten, die selbst Erwachsenen schwer fallen, kann man von Kindern nicht erwarten. Ja, das verunsichert mich. 

Viele der sogenannten systemrelevanten Berufe sind traditionell „Frauenberufe“ und gehören in den Bereich der Care-Arbeit. Kranken- und Altenpfleger*innen, Kassierer*innen, Reinigungskräfte und diverse andere Berufsgruppen erleben momentan endlich Anerkennung und Wertschätzung für ihre Arbeit. Da wird von Balkonen geklatscht, von Solidarität, besseren Arbeitsbedingungen und angemessener Bezahlung gesprochen. Erzieher*innen finden in diesen Aufzählungen nur selten bis gar keine Erwähnung. Auch der soziale Bereich wurde in den vergangenen Jahrzehnten systematisch kaputtgespart. In Zeiten von Covid-19 stehen Erzieher*innen im Umgang mit Kindern vor besonderen Herausforderungen. Effektiven Infektionsschutz zu gewährleisten, gestaltet sich in der Praxis schwierig. Kindern fällt es schwer, sich an Abstandsvorgaben und Hust- und Niesetikette zu halten. Altersabhängig brauchen sie Unterstützung beim Toilettengang, Händewaschen, Naseputzen und Essen. Sie suchen Trost und Nähe bei Erwachsenen und Kindern, verlieren sich im Spiel, fassen sich und anderen ins Gesicht und so weiter. Ob Schutzbekleidung ein angemessenes Mittel ist, um die Risiken zu mindern, ist fraglich. Was macht es mit Kindern, wenn sie von Menschen mit Masken und Gummihandschuhen betreut werden?

Auch Erzieher*innen setzen sich einem erhöhten Infektionsrisiko aus und tragen die psychischen Belastungen der Ausnahmesituation mit. Es bleibt zu hoffen und zu fordern, dass sich diese Erkenntnis in der Anerkennung und Wertschätzung des Berufes, sowohl monetär als auch in den Arbeitsbedingungen, widerspiegelt.

Ideen für eine bessere Welt nach Corona

Egal wie lange sie dauert: Nach der Coronakrise wird sich unser Leben grundlegend verändert haben. Auf der einen Seite erleben wir durch die Ausgangssperren eine massive Einschränkung von Grund- und Menschenrechten. Hier besteht die große Gefahr, dass Maßnahmen, die zur Eindämmung des Virus durchaus sinnvoll erscheinen, auch nach der Pandemie aufrechterhalten werden.

Andererseits zeigt sich in der Krise die Möglichkeit der grundlegenden Veränderung unserer gesellschaftlichen Verhältnisse. Die Krise konfrontiert uns mit der Frage: Wie wollen wir als Gesellschaft zukünftig miteinander leben? Die staatlichen Notfallmaßnahmen und die Produktionsumstellung einiger Konzerne zeigen, dass eine am gesellschaftlichen Bedarf geplante Produktion möglich und vernünftig ist. Dass nun plötzlich innerhalb von Wochen Krankenhäuser gebaut werden, Konzerne nun statt Autos Beatmungsgeräte produzieren und vieles mehr, zeigt uns ganz konkret, wie eine bedürfnisorientierte Produktion aussehen könnte. 

Zwar dient die Planung der Produktion in der momentanen Krise lediglich dazu, das Schlimmste zu verhindern, während die gesamtgesellschaftliche Produktion weiterhin an den Interessen des Kapitals orientiert bleibt. Dennoch macht es uns sichtbar, was alles geht, wenn es drauf ankommt. Und jetzt, lasst uns mal vorstellen, was alles möglich wäre, wenn wir als Gesellschaft unsere Bedürfnisse gemeinsam und langfristig planen – und diese nicht mehr nach Profitinteressen ausrichten. Wenn wir uns darauf besinnen, was im Leben wirklich wichtig ist und wie wir das gemeinschaftlich erreichen können.
Was, wie und zu welchem Zweck wollen wir als Gesellschaft produzieren? Was ist relevant und wie wollen wir unsere Städte und unser soziales Zusammenleben gestalten? 

Durch die Entwicklung von Maschinerie und technischem Know-How in den letzten Jahrhunderten, wäre es heute problemlos möglich, alle Menschen auf diesem Planeten aus einem Leben in Armut zu befreien. Es gibt ausreichend Wohnungen, Nahrungsmittel und Infrastruktur, damit alle Menschen weltweit in dieser schweren Zeit, aber auch danach ein menschenwürdiges Leben führen könnten. Und dort, wo dies bisher noch nicht möglich war, werden künftig alle Kräfte investiert, um menschenwürdige Lebensverhältnisse aufzubauen. Ohne, dass es dabei um irgendwelche betriebswirtschaftlichen Rechnereien und kapitalistischen Marktgesetze gehen muss. Für eine von den Zwängen des Wachstums und der Profitmaximierung befreiten Gesellschaft, wäre es ein Leichtes, in Zeiten einer Pandemie zum Schutz der Bevölkerung die gesellschaftliche Produktion von Gütern auf das Lebensnotwendige herunterzufahren. Es wäre möglich, Einschränkungen ohne Existenzängste zu überstehen, da sie die eigene Lebensgrundlage nicht gefährden würden. Menschen, deren Einkommen gerade wegbricht oder extrem reduziert wird, müssten sich keine Sorgen um ihre Existenzen machen. Denn der angehäufte gesellschaftliche Reichtum an Gütern stünde uns allen zur Verfügung. Wir müssten nicht mehr schauen, wie wir unseren Kopf über Wasser halten. Es wäre möglich, alle zur Verfügung stehenden Maschinen und Ressourcen der Welt konsequent auf den Ausbau von Krankenhäusern, der Herstellung von Beatmungsgeräten und –masken auszurichten. Gemeinschaftlich wäre es möglich einen Lockdown zu überstehen ohne danach vor dem Ruin zu stehen.  

Eine vollkommen andere Gesellschaft ist möglich: Eine Gesellschaft, die nicht mehr auf den Prinzipien des Profits, der Konkurrenz und auf dem Vertrauen in freie Märkte aufbaut. Es besteht die Möglichkeit, sich der Fesseln der Logik von Wachstum und Profit zu entledigen. Die globale Produktion kann der Logik der Profitmaximierung entrissen und an den Bedürfnissen aller Menschen ausgerichtet werden. Der Kapitalismus ist das Problem und kein Naturzustand. Und außerdem stellen wir fest: Dies wäre ein Schritt, der unmittelbar jedem Menschen zugutekommen würde. 
 
Die drohende Alternative zu diesem Schritt wäre eine Politik, die vor allem für Konzerne und weniger für deren Beschäftigte, Schutzschirme spannt. Die Folgen der Coronakrise würden auf dem Rücken der sozial Schwachen ausgetragen werden. Wohin uns dieser Weg führt, zeigt sich schon jetzt: Die Arbeitsbedingungen für die eben noch als systemrelevante Held*innen gefeierten im Gesundheitssektor verschlechtern sich gerade drastisch durch die Lockerung des Arbeitszeitgesetzes. Dies ist der Dank der Herrschenden, der uns alle erwarten wird, sobald es um die Verteilung der Kosten dieser Krise gehen wird – wenn wir nicht endlich Schluss mit diesem kapitalistischen System machen.
 
Nur dort, wo sich eine Kooperation und Solidarität einstellt, kann es gelingen, den ungeheuren Kräften der Märkte zu trotzen. Die ersten Zeichen der nachbarschaftlichen Solidarität, der Sorge und Rücksichtnahme sind ein großer Hoffnungsschimmer.  Wir sollten uns als Nachbar*innen besser kennen lernen und gemeinsam mit euch unter dem Banner der Solidarität Strukturen aufbauen, die die kommenden Angriffe auf unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen abwehren können. Die Solidaritäten, die wir heute knüpfen, werden die Grundlage sein, für die Kämpfe um eine Neuordnung der Welt nach Corona. 

Übernimm Verantwortung, Mann*!

Vom Corona-Ausnahmezustand sind Frauen* besonders betroffen. Wenn Kitas und Schulen schließen, müssen Sorge und Fürsorge, Erziehung und Betreuung privat organisiert werden. Haushalt, Erziehung und Pflege von Angehörigen werden immer noch vor allem von Frauen* verrichtet. Daher sind es sie, die nun einen Großteil der Mehrbelastung stemmen müssen – und zwar unbezahlt. Die häufige Doppelbelastung von Frauen –bestehend aus Lohnerwerbsarbeit und Familienaufgaben – wird in Krisenzeiten weiter verschärft und noch sichtbarer. Daher ein Aufruf an alle Männer: Wälzt die zusätzliche Betreuungsarbeit nicht auf Frauen* ab! Übernehmt selbst Verantwortung und fühlt euch für anfallende Haus-, Erziehungs- und Fürsorgearbeiten zuständig!

Der Ausnahmezustand macht nicht nur eine Krise der Arbeitsverteilung, sondern auch der Anerkennung deutlich. Als Arbeiterinnen in Supermärkten, in der Alten- und Krankenpflege oder bei der Kinderbetreuung  werden Frauen* zu schlecht bezahlt.  Deshalb, liebe Nachbar*innen, macht Lärm, zeigt euch solidarisch und unterstützt die Forderungen der Arbeiterinnen!

Der Kapitalismus ist die Krise

Wir leben in einem Gesellschaftssystem, das für seinen ständigen Zwang zu Wachstum und Profit über Leichen geht. Jetzt, in Zeiten von Corona, sehen wir, dass dieses Wirtschaftssystem es nicht verkraftet, einige Monate auf seine Profite zu verzichten. Dies hat einen weltweiten Kollaps des Systems zur Folge. Die soziale Ungleichheit in diesem Land ist so hoch wie seit über hundert Jahren nicht mehr.

Während sich einerseits ein unglaublicher Reichtum anhäuft, rutschen immer mehr Menschen in prekäre Lebensverhältnisse ab. Die Löhne steigen im Vergleich zu den Lebenshaltungskosten nicht. Die Mieten steigen ins Unermessliche. Die Arbeitsbedingungen verschlechtern sich und der Niedriglohnsektor wächst stetig. All das sorgte bereits vor der Corona-Pandemie für eine Verschlechterung unserer Lebensverhältnisse. Eine Weltwirtschaftskrise kündigte sich schon vor Corona an. Nun steuern wir auf eine Wirtschaftskrise unbekannten Ausmaßes zu.

Es sind die Regeln des Marktes, die dazu führen, dass private Unternehmen nur das herstellen, was sich mit Gewinn verkaufen lässt. Das zeigt sich in der Krise besonders. Gerade dann, wenn Güter am dringendsten benötigt werden, also die Nachfrage wächst, können viele sie sich nicht mehr leisten. Das sieht man am Beispiel von Mundschutzmasken, Schutzanzügen oder Produkten der Pharmaindustrie. Deren Preise haben sich seit Mitte Februar vervielfacht. Daher dürfen Güter und Dienstleistungen keinen Marktgesetzen unterworfen sein.

Und die Unternehmen profitieren davon. Deshalb können sich die Profiteure eher das Ende der Welt, als das Ende des Kapitalismus vorstellen.

 

Auch die Reaktion des Staates auf die Pandemie ist verräterisch. Schulen, Kitas, Unis, Kultur- und Musikveranstaltungen, Spielplätze etc. werden geschlossen. Das öffentliche Leben steht aufgrund verhängter Ausgangssperre abseits der Arbeit weitestgehend still. So kommt es, dass wir unsere Kontakte in unserer freien Zeit beschränken sollen, während die Arbeit in Fabriken, Büros und Callcentern munter weiterläuft. Die Gewinne der Unternehmen sollen weiter sprießen und möglichst wenig gefährdet werden. Es ist bezeichnend für unser Wirtschaftssystem, dass die Arbeit in der momentanen Situation nicht einzig auf die Produktion lebensnotwendiger Güter reduziert wird. Unsere Gesundheit ist dem Staat und den Unternehmen nur so lange wichtig, wie wir ihnen als Arbeitskraft zur Verfügung steht. Oder es einen Kollaps des kaputtgesparten Gesundheitssystems zu verhindern gilt. Profit ist in diesem System alles, der Mensch zählt hingegen weniger. 

Solange es darum ging, dass Gesundheitssystem kaputt zu sparen und Sozialleistungen zu kürzen, war die Schuldenbremse des Staates unantastbar. Nun wurde sie aufgehoben und die Bundesregierung hat ein Corona-Notpaket beschlossen. Dieses lässt erahnen, wohin der Weg uns führen wird. Das Notpaket unterstützt mal wieder vor allem die Reichen und ist insbesondere an der Wettbewerbsfähigkeit und den Gewinnen der Unternehmen interessiert. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. 600 Milliarden Euro sind zur Unterstützung von Großunternehmen vorgesehen, 50 Milliarden Euro für kleine Firmen und Selbständige. Jedoch sind vor allem Kleinunternehmen und Selbständige besonders hart von den Folgen der Corona-Krise betroffen. Sie mussten ihre Läden schließen und Dienstleistungen einstellen. Rücklagen zu bilden war für diese schon im Normalbetrieb nicht möglich. Noch schlimmer stehen Minijobber dar, die nach Stundenlohn bezahlt wurden. Nachdem Läden und Unternehmen schließen mussten, verlieren sie ihren gesamten Lohn. Für sie hat die Regierung überhaupt keine Finanzhilfen geplant. Die Kosten für die Rettung der Wirtschaft wird, wie in jeder Krise in der Geschichte des Kapitalismus, der ärmere Teil der Bevölkerung zu zahlen haben.

 

Man wird uns sagen, dass wir durch diese Naturkatastrophe alle im selben Boot sitzen und unseren Gürtel enger schnallen sollen.  Es wird in diesem Zuge zu massiven Angriffen auf unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen kommen. Schon jetzt zeigt sich: Dort, wo die Arbeit im Ausnahmezustand auch körperlich weitergeht, werden die arbeitenden Menschen erheblichen Gesundheitsgefahren ausgesetzt und Arbeitsrechte ausgehebelt. Dabei ist nicht Corona die eigentliche Krise, sondern das Wirtschaftssystem: Der Kapitalismus lässt die Corona-Krise für viele von uns zu einer existenzbedrohenden Angst werden. Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten werden sichtbarer denn je. Dass nun die ersten Unternehmer und Politiker bereits die Rückkehr zur Normalität fordern, macht deutlich, dass es durchaus im Sinne der Wirtschaft ist, notfalls über Leichen zu gehen.